Da sind wir:
1979. Tag der Einschulung. Klein Silvia flankiert, links von Oma Leni und rechts von Tante Ria. Bei uns zu Hause am Küchentisch.
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Warmes Familientreffen zu zweit
Ich bin verabredet. Im Pub. Mit meiner Cousine. Großcousine, um genau zu sein. Was die Tochter meiner Tante Ria ist. Ria ist voriges Jahr vom 17. auf den 18. März gestorben. Ein Jahr vorher feierte sie noch ihren neunzigsten in Irland. Ich werde ihr auf meiner Reise sehr nah sein. Und an St. Patricks einen Whiskey auf sie trinken.
Meine Cousine hat Bilder mitgebracht. Klein Silvia mit Tante Ria UND Oma Leni. Es ist mir scheißegal, ob wir im Pub sitzen, ich heule. Bin gerührt. Weil ich sehe, es gab Menschen denen ich mich verbunden fühlte. Ich hatte es nur vergessen. Und, ja, es waren nicht meine Eltern, sondern deren Eltern und Tanten, die mir Geborgenheit gaben. Es tut gut, sich daran zu erinnern. Zugehörigkeitsgefühl ist ein weiterer Mangel. Ich dachte immer, mich wollte keiner haben. Jetzt weiß ich, die Alten wollten.Das ist mehr, als manch anderes Kind je bekommen wird. Ich bin jetzt einfach mal dankbar.
Auch bin ich froh, meine Cousine wiedergetroffen zu haben. Wir verstehen uns auf eine coole Art. Wenn die Bilder gescant sind, werden sie nachgeliefert.
Darüber, in welchem Zustand, ich mit dem Auto die Heimreise antrat — lassen wir das. Leichtsinn. Es ist gut gegangen.
Jetzt sage ich gute Nacht.
Für Ria
Jahrzehnte hatten wir uns nicht gesehen, weil ich dachte, wegen den Zwistigkeiten in der Familie sei ich nicht willkommen.
Dann eines Tages des letzten Jahres, etwa um die Zeit, wie jetzt, steigen eine alte und eine jüngere Dame, am Bahnhof, in mein Taxi. Wie gewöhnlich helfe ich ein wenig dabei und packe den Rollator in den Kofferraum. Sie nennen mir die Adresse und ich denke: Das könnte das Haus sein, in dem Tante Ria gewohnt hat. Und tatsächlich ist es so. Das tue ich auch gleich kund: In dem Haus hat mal meine Tante gewohnt.
Von der Rückbank die Frage:Wie hieß die Tante denn, wir kennen eigentlich alle, die hier gewohnt haben.
Tante Ria, gebe ich zurück.
Erst Schweigen. Dann: Bist Du die Silvia, die Tochter vom Hans? Guck mal nach rechts.
Ich sehe mir die Omi genauer an und meine Augen werden größer. Tante Ria?!
Ja, da sitzt meine Tante Ria. 90 Jahre alt und irgendwie verschmitzt um die Augen rum.
Ich sage ehrlich, dass ich nicht erwartet hätte, dass sie noch lebt. 90 ist ja ein stolzes Alter. Wir freuen uns wahnsinnig und finden es alle gleichermaßen kurios, dass wir uns so wiederfinden.
Jedenfalls schlage ich dann gleich das nächste Wochenende,e mit meinem Cousin, zu Kaffee und Kuchen auf. Meine Großcousine Karin (die jüngere Dame aus dem Taxi) ist natürlich auch da. Und wir haben alle eine Menge Spaß, erzählen von früher und was so passiert ist.
Ich fahre die beiden dann auch hin und wieder zum Arzt, bin auch noch mal zum Kaffee bei Ria. Dabei erzählt sie mir von ihrem Leben. So spannend und auch lustig.
Beim letzten Mal habe ich ihr einiges von mir erzählt. Ich traf nur auf Liebe und Verständnis. Und sie hat mir etwas mit gegeben: Mach Dir keine Gedanken; Du bist gut und richtig, genau so, wie Du bist.
Gestern habe ich meine Cousine angerufen.
Vorgestern ist Ria gestorben. Mit 91 Jahren. Ihren 90ten hat sie noch in Irland und ihren 91ten in England gefeiert.
So, wie ich sie vorher Jahrzehnte nicht vermisst habe, so wird sie mir jetzt fehlen.
Aber ihre Worte bleiben immer bei mir. Und wieder weine ich ein wenig.
Tschüss Ria. Mach’s gut.