Warmes Familientreffen zu zweit

Ich bin verabredet. Im Pub. Mit meiner Cousine. Großcousine, um genau zu sein. Was die Tochter meiner Tante Ria ist. Ria ist voriges Jahr vom 17. auf den 18. März gestorben. Ein Jahr vorher feierte sie noch ihren neunzigsten in Irland. Ich werde ihr auf meiner Reise sehr nah sein. Und an St. Patricks einen Whiskey auf sie trinken.
Meine Cousine hat Bilder mitgebracht. Klein Silvia mit Tante Ria UND Oma Leni. Es ist mir scheißegal, ob wir im Pub sitzen, ich heule. Bin gerührt. Weil ich sehe, es gab Menschen denen ich mich verbunden fühlte. Ich hatte es nur vergessen. Und, ja, es waren nicht meine Eltern, sondern deren Eltern und Tanten, die mir Geborgenheit gaben. Es tut gut, sich daran zu erinnern. Zugehörigkeitsgefühl ist ein weiterer Mangel. Ich dachte immer, mich wollte keiner haben. Jetzt weiß ich, die Alten wollten.Das ist mehr, als manch anderes Kind je bekommen wird. Ich bin jetzt einfach mal dankbar.
Auch bin ich froh, meine Cousine wiedergetroffen zu haben. Wir verstehen uns auf eine coole Art. Wenn die Bilder gescant sind, werden sie nachgeliefert.
Darüber, in welchem Zustand, ich mit dem Auto die Heimreise antrat — lassen wir das. Leichtsinn. Es ist gut gegangen.

Jetzt sage ich gute Nacht.

Trotz allem

Ich bin aus dem Lot.
Während ich eine Mail an meine Frengländerin schreibe, breche ich in Tränen aus. Das Haus habe ich auch noch nicht verlassen. Hänge in einer Dauerschleife. Grübeln. Immer noch aufschieben, was eigentlich angegangen werden müsste. Müsste. Ich bin so froh, wenn ich diese Müsstegeschichten, die mir Vater Staat auf’s Auge drückt, von den Hacken hab.
Da, in diesem Moment heule ich schon wieder. Die Endorphine von Samstag sind aufgebraucht. Ich fühle mich einsam. Soooo alleine.
Einfach aushalten. Was soll ich auch anderes tun. Ich kann ja nicht weg von mir. Ich könnte meine beste Freundin sein, sollte ich sogar. Doch ich knicke immer wieder ein.
Und keiner kann mir helfen. Das kann nur ich allein. Egal, was man mir an tröstlichen Worten sagt, es hilft nicht. Oder nur kurz. Wie eine Schmerztablette. An die Ursache muss ich ran.
Wie kann man nur so labil sein. Verdammt!!!!!!
Sind es schon zwei Wochen? Nein, eine. Rein zeitlich gesehen, habe ich noch nur ein Tief. Ab zwei Wochen spricht man von einer Depression. Heule ich jetzt tatsächlich schon eine Woche?
Wo ist die Zeit hin?
Mensch Silvia, reiß Dich zusammen. Wo ist mein Buch über kognitive Verhaltenstherapie?

Heiter bis wolkig

Oder anders herum.
Irgendwie bricht sich alles Bahn. Mich nervt einfach alles. Alles ist mir zu viel. Das erste mal muss ich heute Morgen Druck ablassen. Nach den Dialysefahrten will ich Brötchen holen. Vorm Edeka, im Taxi sitzend, öffnen sich die Schleusen. Wieder mal heulen. „Was denn jetzt“ , denkt es in mir. Ich wünsche mir so sehr Entspannung und Erleichterung. Würde am liebsten einfach alles hinter mir lassen.
Während ich das so denke, erinnere ich mich, wie es ist, erleichtert und entspannt zu sein.
Das zeigt Wirkung. Sogar meine Nackenmuskulatur wird locker. Super!
Mit dicken Augen gehe ich Brötchen holen. Mir doch egal, was die denken.

Mittags geht’s in die Waldau. Ich will laufen. Schon auf dem Weg dort hin, geht’s schon wieder los. Auf dem Parkplatz lass ich wieder laufen. Simse mit der Dame; sie ist beim Imkerkurs, bietet an nachher vorbei zu kommen, mit einer großen Tüte Empathie. Allein das Wissen, eine so gute Freundin zu haben, tut gut.
Ich weine noch ein wenig vor mich hin. Dann erinnere ich mich an meine Metta Meditation App (ihr dürft lachen, aber die ist echt gut). Die Kontemplation für heute:

Möge ich erkennen, wie sich alles entwickelt, egal, ob ich das Gefühl der Kontrolle über die Situation habe oder nicht.

Als ich das lese, muss ich laut lachen. Das trifft den Nagel ja so ziemlich auf den Kopf.
Mit diesem Satz im Kopf, laufe ich schließlich los.
Ich laufe so locker, wie ewig nicht; der Puls ist so niedrig wie lange nicht; ich laufe weiter, als die letzten Wochen und als ich wieder Richtung Parkplatz komme, bricht die Sonne durch die Wolken um helle Kleckse auf den Waldboden zu streuen.

Jetzt fühle ich mich wieder leicht. Und es geht sogar ein Stück in Richtung Glück.
Die Sonne malt halt auch helle Flecken auf meine Seele. 🙂