Gegensprech – Once upon a time

Bei all dem Schreiben über alte Zeiten und meine Altvorderen, kommen immer mehr Erinnerungen hoch. Manche vergessene Kleinigkeit, wie unsere Gegensprechanlagen.
Alle meine Verwandten, oder fast alle, die in der Altstadt (innere Nordstadt) lebten, wohnten im Dachgeschoss. Mein Opa Adi, Oma Leni, Onkel Hans mit seiner Familie (mein brudergleicher Cousin). Besuchte ich sie, wurde unten geklingelt, wie allgemein üblich. Dann ging oben, im Wohnzimmer ein Fenster auf und man hörte ein: „Ja?!  Wer ist da?!“  Und ich, mit nach oben gerecktem Gesicht, lautstark: „Iiiiiich, die Silvia.“ Darauf: „Komm rauf! “ Dann erst wurde der Tür Öffner betätigt. Ja, so war das damals, mit der Gegensprech.

Opa Adi

Opa Adolf. Er bekommt jetzt endlich, was er verdient:
Eine Erwähnung voller Liebe.
Er war mir die Vaterfigur im frühen Kindesalter (Kindergarten/Grundschule).
Von ihm bekam ich Zuneigung und Aufmerksamkeit (mein Vater war arbeiten).
Bei ihm durfte ich alles sein. Ich war immer richtig.
Opa Adolf, der dritte Mann meiner Oma väterlicherseits. Er wohnte in der Altstadt,
im gleichen Haus, im Dachgeschoss. Die Oma starb, da war ich zwei. Ich habe keine
Erinnerung an sie. Opa Adi war immer da. Er aß mit uns zu Mittag. Von ihm lernte
ich Ironie, wie sie funktioniert. Er diskutierte mit mir kleiner Person, als sei ich erwachsen.
Er war, wie ich, ein Waage Mensch. Ich nahm viele seiner Eigenarten an.
Meine Mutter und mich verwöhnte er:
Sie bekam Schmuck, Pelze. Ich Aufmerksamkeit, Spielzeug, Kleider.
Auch unternahmen er viel mit uns: Schiffstouren, Pützchens Markt (wir gewannen
an der Losbude die allergrößten Stofftiere), essen gehen im „Hähnchen“, einem alteingesessenen
Lokal am Bonner Münsterplatz.
Meine Mutter machte oft einen eifersüchtigen Eindruck, schob unsere Diskussionen darauf, dass wir
Waagegeborene seien (als sei das ein Makel). Und an Vollmond spännen die sowieso.
Ich habe immer noch ihren Unterton im Ohr, der mir heute, auch nach über dreißig
Jahren sagt, die Eifersucht war echt.
Brauchte ich Aufmerksamkeit, erklomm ich die gebohnerte Treppe zum vierten Stock und setzte mich
auf die Küchen Bank. Hier servierte er mir ein Weinprobierglas mit schwarzem Johannisbeersaft. Unser
Ritual. Es war immer auffallend ruhig, bei ihm. Nur das Gurren der Tauben im Dachstuhl war zu hören.
Er besaß weder Fernseher, noch Radio. Ich genoss die Stille. Oft saßen wir dort oben schweigend.
Adi war ein eleganter Mann:
Immer grauer Anzug. Manschettenknöpfe. Krawatte. Schwarze, blitzblank polierte
Lederschuhe. Gebildet. Alles makellos. Auch das silberne Haar.
In der Anzug Tasche ein Feuerzeug, um den Damen, wenn nötig, Feuer zu geben.
Er selbst rauchte nicht.
Er war ironisch, charmant, gutaussehend (ja, das weiß ich, obwohl ich so jung und er so alt war), weltoffen. Groß
gewachsen, schlanke Gestalt. Und er reiste. Vornehmlich mit dem Zug, welchem ich oft hinterwinkte,
ging er für Wochen auf Reisen. Dann vermisste ich ihn. Kehrte er zurück, brachte er mir etwas mit.
Trotzdem war immer eine winzige Distanz zwischen uns. Vielleicht, weil er nicht mein Blutsverwandter war.

Schlimm, wie er mein Leben verließ. Oder hinaus gestoßen wurde. Eines Tages verliebte er sich. Hatte eine
Freundin. Die Eifersucht meiner Mutter durfte sich nun voll entfalten. Es kam zum Disput, der nie beigelegt wurde.
Ich saß zwischen den Stühlen. Hatte ein Loyalitätsproblem.
Dann zogen wir um und der Kontakt brach ab.

Als ich mit den Punks abhing, kam ich auf die Idee ihn zu besuchen. Ich klingelte, erklomm, wie früher, die Stufen in die vierte
Etage. Er stand, auch wie immer, oben am Geländer (Gegensprechanlage gab es nicht), verschwand kurz, um mit einem
Schrubber wieder aufzutauchen. Unwirsch fragte er, was ich denn wolle, drohte mir dem Stiel (er hatte mich nicht erkannt).
Ich gab mich zu erkennen, bekam mein Glas Johannisbeersaft.

Als ich ihn verließ ahnte ich nicht, dass es das letzte Wiedersehen war.

Es gibt keinen Menschen, der besser zu mir war, der mich mehr in meinem Wesen akzeptiert hat, als Opa Adi.

Danke.

Once Upon A Time – Zerberus im Club Med, oder eine weitere Folge „Jugend forscht“

Es trägt sich zu, als ich achtzehn bin, in einer Phase, da ich dem Punkerdasein wiederholt den Rücken zu kehre. Sprich, ich versuche „normal“ zu sein.
Mit meiner Freundin W. treffe ich mich in einem Billard Bistro.
Der Abend ist schon älter, als ein Bekannter, Ernst, das Bistro mit zwei anderen Typen betritt. Ernst ist um die vierzig, was für mich zu dieser Zeit noch „alt“ bedeutet. Seine Begleiter nicht anders. Ihre Namen sind mir entfallen, drum sollen sie hier Pat und Patachon heißen.
Wie sich herausstellt sind die beiden die neuen Besitzer des Sauna Clubs auf der anderen Straßenseite und dabei, diesen zu renovieren.
W. und ich, neugierig wie immer, fragen, ob wir uns die Bude mal ansehen können. So oft hat man nicht die Gelegenheit, so ein Etablissement von innen zu betrachten, wenn man nicht dort arbeitet. Ernst versucht es uns auszureden und scheitert. Je mehr er auf uns einredet, umso neugieriger werden wir.
So landen wir in diesem Club. Mit den zwei Leuchten.
W. und ich haben durstige Kehlen. Praktisch, die Bar haben die beiden schon bestückt und wir bedienen uns. Irgendwann geht’s an die Besichtigung. Rotes Zimmer, grünes Zimmer, blaues Zimmer. W.ist plötzlich mit Pat verschwunden (bestimmt kein Zufall), ich erreiche mit Patachon das Spiegelzimmer.
Schwarzer Hochflorteppich, weißer Whirlpool, weiß gelackte Zimmerpflanzen und rundherum Spiegel. Schwarzlicht.
Wir knutschen. Ein wenig Sex, das Intermezzo ist schnell vorbei, ich habe alles gesehen und — Durst. Zurück zur Bar. Dort treffen wir W. und Pat wieder.
Wir trinken weiter, Patachon hat noch nicht genug von mir,  wird zudringlich.
„Nee, Du. Das brauch ich nicht noch mal“, sag ich. Das scheint ihm nicht zu gefallen, er wird ausfallend. Ich kann wechseln, so ergibt ein Wort das andere, bis er mir eine schmiert und darauf sein Kopf mitsamt des langen Haares, ob meines Returns in starke Schwingung gerädert. Jetzt sieht  er wütend aus. Pat meint, er soll sich beruhigen. Patachon ist nicht überzeugt, das seh ich ihm an. „Noch sieht Dein Gesicht manierlich aus, wir wollen doch, dass das so bleibt“ gebe ich zu bedenken (habe ich mal bei Terrence Hill gehört).
Immer schön aufblasen, wenn man so kurz geraten ist. Bloß nicht klein machen, Silvia.
Er wird unsicher, das entgeht mir nicht. Große Klappe funktioniert.
„Komm jetzt, hier gibt’s nix mehr, was uns schmeckt“, meint W. und wir verlassen unbehelligt den Club.
Die Nacht ist vorbei, wir schaukeln in den grauenden Morgen.
Das hätte auch ins Auge gehen können.
Was soll ich sagen?
Jugend forscht.

Was für ein Morgen

Um es mit einem Buchtitel von Rainer Malkowski zu sagen.
Der Nebel der letzten Nacht hat sich als Raureif über die Stadt gelegt, sieht schön aus. Das Thermometer zeigt zwei Komma fünf Grad. Um fünf Grad gefallen. Das war zu erwarten. Auf dem Heimweg war der Himmel sternenklar.
Meine Erkältung hat heute ihren Höhepunkt. Das ist keine Überraschung. Um Mitternacht, beim Feuerwerk stand ich ohne Jacke draußen, nass geschwitzt. Die Erkältung wird gehen, wie sie gekommen ist. Das Wasser für den Ingwer-cúrcuma Tee steht schon auf dem Herd.
Im Ort läuten die Kirchenglocken. Erinnerung an Kindheit. Altstadt. Stiftskirche, meine Taufkirche in Bonn, als der Kuhle Dom bekannt. Ich bin ein Kuhler Mädchen. Die Breitestraße, in der ich aufwuchs, gehört zur Kuhl.
Ponyreiten auf der Kuhler Kirmes. Pfarrsingschule. Kolpingverein. Spielplatz Annagraben, unterhalb vom Knast. Wildes Schaukeln auf den ausgestellten Hollywood Schaukeln, im Kaufhof Außenlager. Den Spielplatz gibt es heute noch, das Außenlager ist einem Neubau gewichen.
All das kommt mir in den Sinn, als ich die Glocken höre, die jeden Tag läuten, mir aber nur heute ins Bewusstsein dringen.
Und die Frage, ob ich eine Geschichte aus dieser Zeit erzählen will oder nicht. Eine unglaubliche Geschichte. Die Geschichte vom Verlust eines Stückes Kindheit.
Mal sehen, zu welchem Schluss mein inneres Team gelangt.

Once upon a time – Lili Marleen auf Fehmarn

2009. Fehmarn.
Wir sind auf dem Campingplatz „Am Deich“ im Norden der Insel untergekommen. In der Gegend um den Campingplatz ist nicht viel los. Die einzige fußläufige „Ausgehmöglichkeit“ ist die Kneipe vorne am Campingplatz. Hier treffen täglich Touris und alte Fehmaraner aufeinander.
Wir sitzen fast jeden Abend hier. Quasi Inventar. Einer der alten Fehmaraner ist Alfred, pensionierter Polizist, Sänger im Chanty Chor und ebenfalls Bewohner eines mobilen Eigenheims. Er ist groß, fast zwei Meter und trägt ein gewaltiges Feinkostgewölbe mit sich spazieren. Klangkörper, mit großem Herz, auf zwei Beinen, dem Jubi nicht abgeneigt, wie auch das rote Gesicht verrät. Ich lass mir in der Beziehung nicht die Butter vom Brot nehmen und ziehe kräftig mit.
Die Stimmung ist heiter, so singen wir. Seemannslieder wie: Wir lagen vor Madagaskar und andere.
Irgendwann stimme ich Lili Marleen an, wenig textsicher. Der Gesang gefällt Alfred, die textunsicherheit weniger. In der Kneipe gibt es ein Liederbuch. Das drückt er mir in die Hand. „Hier das übst du jetzt. Morgen gibt’s bei mir Rollbraten vom Grill. Dann trägst du es vor. Drei Strophen mindestens. Die schmetterst Du vom Deich. Zur Belohnung bekommst Du was vom Braten.“ Ich lasse mich ein. Den ganzen Abend und den darauffolgenden Tag schleppe ich das Buch mit mir herum und singe Lili Marleen. Am Nachmittag des Rollbratenessens ist auch der Herr Gemahl textsicher, so oft hat er’s gehört.
Am Abend bewaffne ich mich mit einer Handlaterne (auf dem Deich steht ja keine) und begebe mich auf meine „Deichbühne“, oberhalb von Alfred’s Stellplatz. Alle Blicke auf mich gerichtet.
In der einen Hand die Laterne haltend, schmettere ich los, gegen den Wind, Richtung Alfred. Als ich fertig bin steht er strahlend mit feuchten Augen da und winkt mich zum Rollbratenessen. „Mädchen, den hast Du Dir redlich verdient“, meint er.
Musik die Zeitmaschine. Diese Geschichte werde ich nie vergessen.

So war das – 2014 –

Wie war das? 2014.
Eigentlich mag ich gar nicht zurück blicken. Es floss viel Wasser den Rhein und mein Gesicht hinab dieses Jahr. Gelitten wie ein Tier hab ich an manchen Tagen. Doch gab es auch Licht. Wärme. Eine wunderbare Freundschaft hat sich entwickelt und entwickelt sich weiter. Ich bin mit warmherzigen, intelligenten Menschen in Kontakt gekommen und bin es noch. Die einen zum Anfassen, die anderen hier. Manche beides.
Ich wollte kühl und distanziert sein, doch liebe ich meine starken Emotionen.
Strukturiert und diszipliniert werden und liebe das leichte Chaos um mich herum.
Ich wollte mich den Menschen nicht mehr so viel zumuten und werfe doch weiter mit Liebe, und mit mir, um mich. Werfe mich ran an sie.
Manch einer hat sich abgewandt und ist seines Weges gezogen. Bei den einen hat es mich schwer getroffen, beim nächsten ist es mir nicht mal aufgefallen.
Es gibt so vieles, was ich anders haben wollte an mir. Letztlich habe ich nur ein wenig justiert und bin mir selbst treu geblieben.

Ich habe vier (!) echte Freunde/Freundinnen. Solche, die da sind und helfen, wenn es in ihren Möglichkeiten liegt. Die sich kümmern. Mit denen ich völligen Schwachsinn erzählen kann, bis das Lachen mich fast zusammen brechen lässt. Die meinen Geist, meine Kreativität befeuern und mein Herz bereichern. Mein Leben bereichern.
Dazu einen Herrn Gemahl, der einfach nicht gehen will, so sehr ich mich auch verändere. Wahnsinn! Lässt sich einfach nicht abwerfen von meinem Lebensrodeo.
Einen Körper, dem ich einiges abverlangt habe, der aber trotzdem prima funktioniert (inklusive der Tränendrüsen, wie ich eben wieder feststellen darf).
Alle Menschen, die mich in diesem Jahr berührt haben, sei es mit geschriebenen oder gesprochenen Worten, oder durch Ihr Handeln. Ob mit Kritik, Bedenken oder Zuspruch, all jene haben mich reicher gemacht.
Ich gehe mit einem gut gefüllten Rucksack auf die andere Seite. Den Wanderstock schon in der Hand. Neugierig auf den Weg, durch das nächste Jahr.
2015 darf kommen. Ich bin bereit.

Ich wünsche uns allen ein schönes Fest, egal ob Christ, Moslem, Buddhist, Atheist, Agnostiker, Zarathustrier, Jude oder Satanist.

Liebe, Verständnis, Achtsamkeit, Achtung, Mitgefühl, Wagemut, Zielgenauigkeit, Kreativität, Glück und Mut. Und ein paar Hürden und Hindernisse, damit wir daran wachsen können. Darüber wachsen.

Das sind meine Wünsche für uns alle.

Einen geschmeidiges Hinübergleiten nach 2015, meine Lieben.

Once upon a time – oder, Telefonat mit einem Unbekannten

1986. Frühsommer.
Ich bin 13 Jahre alt, als Jutta und ich abends bei mir zu Hause, in der elterlichen Wohnung sitzen.
Meine Eltern sind, wie fast immer, nicht zu Hause und wir langweilen uns ein wenig.
Das Wetter ist nicht so geeignet für außer Haus Aktionen.

Jutta erzählt von einem Typen, den sie kennengelernt hat. Marco
Das führt dazu, dass wir uns entschließen, ihn einfach mal anzurufen. Er ist schon sechzehn, oha!
Für uns, in unserem Alter, sind das schon die Reiferen (witzig, wie sich das später mal relativiert).
Für die Unternehmung muss ich nur das Telefonschloss knacken, welches meine Frau Mutter auf der Wählscheibe platziert hat.
Wenn sie wüsste, wie nutzlos das Ding ist.

Wir wählen, hängen beide kichernd am Hörer, als Marco abnimmt. Bei ihm ist auch keiner daheim und er hat einige Kumpels da; kleiner Umtrunk (wie erwachsen das klingt…)
Jutta erzählt eine Weile mit ihm, bis sie mir den Hörer reicht. Ich quatsche eine Weile mit diesem Marco, alles belangloser Kram.
Man kennt sich ja nicht. Irgendwann Übergibt er wiederum den Hörer an seinen Kumpel, Achim.
Mit ihm hab ich richtig Spaß. Wir lachen uns halb tot am Telefon. Er hat eine wirklich nette Stimme.
Wir haben den gleichen Humor und fangen an unsere Beisitzer zu veräppeln. Mich schüttelt eine Lachsalve nach der anderen.
Manchmal kringele ich mich geradezu, so heftig lache ich.
Ich mag den Typ, ohne ihn gesehen zu haben.
Jutta spricht dann und wann mit einem Marcel, wenn einer von uns, also Achim oder ich, mal auf’s Klo muss.
Lange Rede, kurzer Sinn:
Wir verabreden uns für den nächsten Tag, an der Schule in Duisdorf. Einer der Jungs hat schon ein Auto, das bietet sich an.

Am nächsten Tag:
Wie bestellt, strahlt die Sonne, als die drei, Ulf, Marcel und Achim (Marco hat keine Zeit), auf den Schulhof rollen.
Sie steigen aus, kommen auf uns zu. Gleich zu Anfang fröhliches Raten, wer wer ist.
Das geht schnell, weil ich Achim sofort an seiner Stimme erkenne.
Der Kerl sieht hinreißend aus. In meinem Leben habe ich noch nie so blaue Augen gesehen.
Sie leuchten wie Sterne.
In meiner Blutbahn, in meinem Magen geht irgendwas vor sich, das ich bisher nicht kenne.
Schmetterlinge überall in mir drin.

Wir verbringen hier den ganzen Nachmittag mit Musik hören, quatschen und klar, Lachen. Ich bekomme Bauchschmerzen, so viel lache ich.
Wir verabreden uns für den nächsten Tag.
Diesmal bei Achim zu Hause.
Wir sind mit dem Bus locker zwei Stunden unterwegs, weil das am anderen Ende der Welt zu liegen scheint. Auf jeden Fall auf der anderen Rheinseite und noch ein ganzes Stück weiter.

Erst mal ein Video: POLTERGEIST.
Dann rüber, in Achim’s Zimmer, was trinken, Musik hören, erzählen.
Irgendwann passiert, was wohl vorherbestimmt war:
Ulf verzieht sich.
Marcel, Jutta, Achim und ich bleiben alleine, hören Musik.
Achim und ich kommen uns näher, näher und noch näher.
Als wir uns das erste  mal küssen, bin ich froh, dass ich sitze, weil bestimmt meine Beine nachgeben würden. Mensch, ist mir heiß.
Ab jetzt tun wir außer Lachen noch was anderes: Knutschen.
Irgendwann wird es Zeit für die Heimfahrt.
Ich bin im siebten Himmel. Während der gesamten Fahrt nach Hause grinse ich selig vor mich hin.
Genauso, die folgenden drei Wochen.
Schwebezustand.

Dann ruft Marcel (!) an. Achim habe eine Andere. Er mache Schluss.
Es klirrt kurz, dann schaue ich auf den Boden. Da liegt es. In Scherben. Mein kleines gebrochenes Herz.
Ich leide sehr, sehr lange.
Und ganz ehrlich, die erste große Liebe vergisst man nie!

Once upon a time – Schiffsdiesel

Wir schreiben das Jahr 2009.
Mein Taxi ein Mercedes W124 – 250 D, Modell Schiffsdiesel. Dauerläufer. Meiner ist schon ein wenig in die Jahre gekommen.
Mit dieser festen Burg stehe ich vor dem Bonner Hauptbahnhof, als ein junges Paar mit Koffern auf mich zustürmt.
Nach Frankfurt, zum Flughafen wollen sie.
Und da die Bahn eine Stunde mit den beiden auf freier Strecke gestanden hat, bitte recht hurtig.
Nach Martinique soll die Reise gehen. Und das nicht einfach so, sondern, um dort zu heiraten. Der Flieger geht nur einmal in der Woche.
Es geht los, doch noch bevor ich am Verteilerkreis auf die Bahn fahre, leuchtet die Tanklampe.
Also rausche ich noch schnell auf die am Verteiler ansässige Tanke und lasse für 10€ Sprit reinlaufen (muss ja schnell gehen, und dem Maschit reicht das bis Frankfurt).
Zack, bezahlen, auf die Bahn.
Wir haben Glück, alles frei. Auch die A3.
Nun ist die ja bekanntlich alles andere als flach. Das heißt für mich und meinen Maschit auf jeder Kuppe das Gas Bis zum Anschlag durchtreten, um sich dann im freien Fall und immer noch mit Vollgas in die darauf folgende Senke zu stürzen.
Hinten, im Fond, telefonieren meine Fahrgäste aufgeregt mit einer der Mütter, die im Kontakt mit dem Flughafen steht, damit die Maschine nicht ohne die beiden abhebt.
Das, damit ihr wisst, wie knapp die Zeit ist.

Nun möchte ich die Widrigkeiten nicht verschweigen. Ich habe in einem der Vorderreifen (billigen Mist gekauft) eine Unwucht. Sprich bei 80 und ab 130 km/h vibriert die Karre derartig, dass mir fast die Füllungen aus den Zähnen fliegen und die Fahrgäste eine Sehstörung bekommen.
Das reduziert unser Reisetempo auf 125 km/h. Da ist Ruhe im Fahrwerk.

Weiter geht’s.
Kurz vor Limburg kommt die heftigste Steigung, da muss dann doch wieder Vollgas ran Mit 170 (laut Tacho) stürze ich mich zu Tal. Alles vibriert. In der Senke, nochmal Kickdown. Der Fünf-Zylinder brüllt. Beim Blick in den Rückspiegel sitzt mir die Sorge im Nacken. Blauer Dunst nimmt meinen Verfolgern die Sicht.
Während ich mir noch denke, dass das suboptimal ist, leuchtet im Cockpit die Öllampe auf.

Warnblinkanlage, ich fahre rechts ran. Die Fahrgäste, irritiert: „Was ist los?!“
“ Och, nix Schlimmes, ich muss nur einen Liter Öl nachschütten.“
Von hinten, ungläubig:“Was!!!!? Wir haben doch keine Zeit!“
„Die muss ich mir leider nehmen, sonst wird das nix mit Flug“, entgegne ich und versorge mein Auto mit Öl; bin schnell fertig.
Zwei Minuten später, die Öllampe ist aus und wir wieder auf der Bahn.

Die zwei haben Glück. Ich kann beim Terminal vorfahren. Sie reichen mir das Geld nach vorne, springen aus dem Auto und sprinten mit heißlaufenden Kofferrollen in Richtung Abfertigung.

Ob sie den Flieger erwischt haben?
Keine Ahnung. Sie hatten meine Karte und Regress Ansprüche wurden bisher keine geltend gemacht. Ich schätze, es ist gut gegangen.