#Storytelling #DieUnbeliebteFreundin
Das Glas der Haustür war mit Pappe verkleidet. Vermutlich gegen die Kälte, hier im Westerwald. Das konnte aber auch ganz schön eisig werden hier oben. Ich klingelte. Eine alte Frau im Omakittel öffnete und bedeutete mir lächelnd einzutreten.
Der Hausflur war dunkel. Das ganze Haus strahlte Schwermut aus. Ich konnte sie beinahe greifen. So ist das, als hochfrequente Rüpelin bekomme ich solche Schwingungen auf dem Tablet serviert.
Aus dem Nebenzimmer trat ein alter Mann. Mein Fahrgast, wie sich rausstellte. Immer wieder gab das Muttchen ihm Ratschläge, die er leicht mürrisch und trotzdem irgendwie liebevoll verwarf. Süß die beiden. Als er endlich die Jacke an hatte, gingen wir zum Auto. In die Klinik müsse er. Medikamente holen und dann zurück.
Während der Fahrt atmete er mehrmals schwer durch. Da war sie wieder: Schwermut.
„Wieso waren sie überhaupt da“?, fragte ich.
„Depressionen.“ Ich sah ihn an. „Und jetzt ist wieder gut?“
„Nein, die ist immer noch da. Das ist eine schlimme Krankheit. Ich will die los werden. Wissen sie, wie schlimm das ist, wenn sie auf gar nichts mehr Lust haben? Alles ist so… Ach.“
Ich nahm wahr, wie schwer sein Herz war. „Mmmh.“
„Kennen Sie die Krankheit?“
„Mmmh.“
„Hatten Sie die auch?“
„Mmmh.“
„Und sind sie die los geworden?“
„Ja, bin ich.“
„Wie haben sie das gemacht?“
„Kam das plötzlich bei ihnen, oder hat sie sich angeschlichen?“
„Plötzlich, auf einmal war das morgens so.“
„Also zuerst mal bin ich hingegangen und hab sie angenommen, die Depression. Solange man die immer nur wegschieben will, hält die sich fest. Und eigentlich ist sie eine Freundin. Eine die garstig ist, aber das ist sie nur, weil sie einem was zeigen will. Sie sollen hin gucken…
Oft haben wir ganz lange was weg gedrückt. Trauer, Angst, Wut… Etwas, was wir dachten, dass das jetzt nicht sein darf….“
„Meine Frau ist schlimm krank. Die hatte einen Schlaganfall. Sie geben mir richtig gute Tipps. Meinen sie, ich werde die wieder los? Die Depression?“
„Hatten sie Angst um ihre Frau?“
„Ja, ganz schlimm.“
„Haben sie da drüber geredet?“
„Nein.“
„Lieber nicht drüber reden und stark sein. Man will ja die kranke Frau nicht damit belasten.“
„Ja, genau.“
Tränen blitzten in seinen Augen.
„Wissen Sie, wenn sie ihre Gefühle immer weg drücken, dann benehmen die sich wie Korken.
Hier weg gedrückt, flupp kommt es an anderer Stelle wieder hoch. Und wenn man das immer wieder macht, dann kann es ja nicht raus. Dann entzündet sich das. Wie ein Pickel. Und der Pickel, das ist ihre Freundin, die Depression.
Sobald sie aber anfangen, hin zu schauen und sich um die Entzündung kümmern, verschwindet auch der Pickel, die Depression.
Weil, die hat dann ja nix mehr zu tun. Wenn sie anfangen hin zu gucken und sich drum zu kümmern, werden sie eines Morgens wach und die Welt ist wieder hell.“
Ich lächlte ihn an.
Inzwischen hatten wir die Medikamente geholt und waren zurück, im Westerwald.
Tatsache: Er lächelte zurück, tätschelte meinen Unterarm: „Das mach ich so. Sie sind ganz besonders.Jetzt weiß ich, daß es wieder weg geht.
Sie sind bestimmt eine Psychologin. Und ein Engel.“
„So was ähnliches.“
Als ich wieder Richtung Bonn davon fuhr, stand er lange an seiner Einfahrt und winkte mir nach.
Sehr mutmachend!
Danke 😊